verkehr

Im Interview zeigen Interessenvertreter des Fußverkehrs („Fuß e.V.“) auf, was sich für sie ändern muss und dass der Fußverkehr nicht zu vernachlässigen ist.  

Flanieren, Schlendern, Spazieren – das scheint nicht in die Hektik des Alltags und der Großstadt zu passen, gehört aber dazu?

Wolfgang Lohnes: Ja, natürlich! Uns geht es unabhängig von Ort und Verkehrsmitteln um das Miteinander, für das ja auch die Kampagne „Miteinanderzone“ steht; vor allem in der Fußgängerzone. Dass das Flanieren und Spazieren überall möglich und ungefährlich sind.

Inge Justin: Dass man die Straßenseite auch wechseln kann, ohne vom nächsten Radfahrer schier überfahren zu werden.

Das Verhältnis zu den Radfahrenden ist ja ein ganz besonderes. Wie würden Sie das regeln wollen?

Lohnes: Es gibt ja Gehwege, die freigegeben sind für Radfahrende. Aber die sollen Radfahrende bitte mit Schrittgeschwindigkeit befahren. Und es gibt ja auch zum Beispiel Lastenräder, die breiter, größer, stärker sind – aber nicht in der Rücksichtnahme, dies ist der Punkt.

Justin: Das sind die Wege, wo beide sich fortbewegen dürfen. Was aber auch auffällt, sind Radfahrende, die auf normalen Gehwegen fahren und zu Fuß Gehende weg klingeln. Das erlebe ich täglich. Wenn man aus Bus oder Straßenbahn aussteigt, muss man ebenfalls auf Radfahrende achten. Das Aussteigen wird damit brandgefährlich, besonders für Ältere.

Lohnes: Der Luisenplatz ist da ja ein klassisches Beispiel, hier radeln viele direkt an den haltenden Bahnen vorbei. 

 

Welche Tipps würden Sie jemandem geben, der das erste Mal den Luisenplatz erreicht und dann betritt?

Lohnes: Viel links und rechts gucken.

Justin: Vorsicht, Vorsicht!

Saary: Ich glaube, da müssen wir unterscheiden – zwischen Studierenden und Senioren etwa. Jüngeren Menschen fällt die Orientierung noch leichter, Ältere tun sich da schwerer.

Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass Unsicherheit auch Sicherheit schafft. Der Luisenplatz ist daher für mich zunächst ein Paradebeispiel eines funktionierenden Share Space, eines geteilten Raums. Problematisch ist, dass zunehmend die Fläche durch Autos, Taxen, Lieferdienste und Außengastronomie verringert wurde. Dadurch ist es nun zu viel Verkehr auf zu wenig Platz, wodurch Konflikte entstehen.

Besonders für Lieferdienst wären auch andere Konzepte möglich.

 

Welches Stück vom Kuchen Straße hätten Sie denn gern?

Saary: Der Gehweg sollte dem Fußverkehr vorbehalten sein.

Lohnes: Man hat es leider versäumt, beim Gestalten der Zufahrt zur Innenstadt eine Umfahrungsmöglichkeit für den Radverkehr zu schaffen. Zuletzt bei der Umgestaltung der Grafenstraße hätte die Zimmerstraße einbezogen werden können und damit wäre eine Entschärfung der Situation Wilhelminenstraße und Wilhelminenbuckel möglich. Damit wäre es dann möglich (gewesen), die Innenstadt wirklich zur Fußgängerzone zu machen.

Justin: Überall sind Radstreifen auf der Straße markiert – in Rot. Könnten nicht auch Verbotszeichen auf der Straße angebracht werden, für mehr Sichtbarkeit?

Saary: Man kann vieles beschildern oder kennzeichnen. Wenn sich die Stadt darauf einigt, auch Bodenmarkierungen. Das Problem ist immer das des Ahndens. Es muss aber jedem klar sein: Wenn ich rücksichtlos auf dem Gehweg fahre und dabei Andere behindere, kostet das wirklich 70 Euro. Wenn es gefährdend ist, noch mehr.

 

Sind Sie froh, dass das Gehwegparken und damit manche Engstelle zurückgedrängt wird?

Lohnes: Tatsächlich ist die Stadt ja jetzt dran; sehr zaghaft, aber immerhin. Man weiß aus den verschiedenen Stadtteilen, was wie gehandhabt und zugelassen wird, das ist schon sehr unterschiedlich.

Saary: Ich bin seit gut 30 Jahren verkehrsplanerisch tätig. Mindestens genauso lange ist bekannt, dass und wo Konflikte bestehen, etwa im Johannesviertel. Bereits vor 30 Jahren wurden intensiv Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung im Johannesviertel diskutiert, aber nur zum Teil umgesetzt. Es braucht endlich mutige Konzepte, die den Menschen zu Fuß als Maß nehmen. Besonders Gehwegparken ist ein Problem u.a. für Schulkinder, die zu klein sind, um über immer größer werdende Autos schauen zu können. Parken in den Kreuzungen wird dann zu einer Sicherheitsfrage. Ein Ansatz wäre zum Beispiel größenabhängige Parkgebühren, dann würden u.a. Besitzer von Wohnmobilen sich vermutlich nach einer verträglichen Alternative umsehen. Insgesamt zeigt das aktuelle Bremer Urteil zum Gehwegparken, dass sich auch in der Rechtskultur etwas zugunsten des Fußverkehrs bewegt (Anmerkung der Echo-Redaktion: Anwohner als Kläger bekamen das Recht auf freie Gehwege vor ihrer Tür ausgesprochen; dies birgt das Potenzial einer Grundsatzentscheidung).

 

Welche Ecken sind Ihnen ein besonderer Dorn im Auge?

Lohnes: Die Ampelsituation an den Haltestellen Rhein-/Neckarstraße sind besonders problematisch, weil die Haltestellen überkreuz liegen und es hierdurch viele Umsteigebeziehungen gibt. Auch an der Kreuzung Landgraf-Georg-Straße/Kirchstraße ist es unübersichtlich, die Wegeführung zu uneindeutig. Wichtig für zu Fuß Gehende, gleich welchen Alters, ist immer, den Weg überhaupt eindeutig erkennen zu können.

 

Gibt es auch Positiv-Beispiele?

Justin: Stadtauswärts an der Nieder-Ramstädter-Straße, zwischen Grohe und dem LGG war es immer schwierig über die Straße zu kommen. Da wurde jetzt tatsächlich eine Ampel aufgestellt. Das Queren ist so sicherer geworden.

Apropos Ampel: Es gibt in einigen Ländern solche, die beispielsweise eine bestimmte Zeit runterzählen, während der man laufen kann und warten muss – was halten Sie davon?

Saary: Die Herausforderung liegt in der Frage der Barrierefreiheit. Nehme ich Zahlen, schließe ich Analphabeten aus. Den aktuellen Stand der Forschung kenne ich nicht, insgesamt finde ich eine Restgrün-Anzeige sehr attraktiv.

Lohnes: Wir haben in Darmstadt ja schon sehr viele positive Beispiele, so etwa die Ausstattung von Ampeln mit akustischer Unterstützung. Ich bin sehr stark sehbehindert; je nachdem, wie das Licht fällt, wird es dann schon mal blöd die Ampel zu erkennen. Ampeln ticken immer, um zu zeigen, dass sie da sind und sich dort der Knopf zum Einschalten der Akustik zu finden ist. Viele Menschen aktivieren den Ton und glauben, dass sie dann schneller grün bekommen. Dabei signalisiert das Tuten sehbehinderten Menschen wie mir, Du kannst jetzt rübergehen.

 

Oder einfach machen, wie klassischerweise für Rom und überhaupt den südlichen Raum empfohlen: entschlossen über die Straße gehen.

Lohnes: Deutsche haben da aber eine ganz andere Mentalität: Ich hab jetzt Grün, ich fahr jetzt los.

Saary: Einfach losgehen kann eine Lösung sein, ist aber nicht für alle. Um sicher über die Straße zu kommen, sind sichere Querungen wie Zebrastreifen oder Ampeln in kurzen Abständen alle 100 – 150 m erforderlich. Besonders auf wichtigen Wegen, wie Schulwegen und andere Wege, die von vielen Menschen genutzt werden.

 

Was muss sich denn entscheidend ändern?

Saary: Die Verkehrsverhältnisse sind oft sehr komplex, deshalb ist neben der eindeutigen Wegeführung eine gute Sicht von allen auf alle wichtig. An signalisierten Kreuzungen ist es zudem wichtig zu Fuß Gehende eine eigene Grün-Phase zu geben um sicher und geschützt queren zu können.

Lohnes: Für mich ist wichtig, dass ich gut gesehen werde. Zum Beispiel auf dem großen TÜV-Parkplatz bei uns in Bessungen laufe ich in der Mitte. Ich drücke mich nicht an den Autos irgendwo am Rand vorbei; ich will gesehen werden!

Justin: Die E-Roller sind oftmals Stolperfallen für Fußgänger, weil sie unsachgemäß abgestellt werden.

 

Endet Jahrzehnte nach „Der letzte Fußgänger“ mit Heinz Erhardt irgendwie wirklich das Laufen als Fortbewegung?

Saary: Wir sind 80 Millionen zu Fuß Gehende, jeder ist am Tag irgendwann zu Fuß unterwegs. Mobilitätsbefragungen zeigen, dass wir achtzig Prozent der Wege bis 500 m zu Fuß zurücklegen. Dazu zählt auch der Weg zur Bushaltestelle. Zur Garage, zum Bäcker. Dies zu Fuß zu gehen ist die vorherrschende Verkehrsart. Wer die Verkehrswende will, muss zuerst gute Bedingungen für das Zu-Fuß-Gehen schaffen.

 

Ich erkunde Städte, vor allem auf Reisen, so intensiv wie möglich zu Fuß. Könnten Sie das guten Gewissens auch Darmstadts Gästen empfehlen?

Lohnes: Ich führe meine Besucher zu Fuß durch die Stadt.

Justin: Zumindest der Versuch sollte in jedem Fall unternommen werden. Jeder soll selbst seine Erfahrungen machen.

Saary: Darmstadt ist eine kompakte Stadt, die meisten Wege lassen sich zu Fuß erledigen. Nimmt man zum Beispiel den Weg vom Hauptbahnhof über den Luisenplatz hoch zur Mathildenhöhe bis zum Botanischen Garten und dem Vivarium kann man all die beschriebenen Probleme persönlich erleben.

Siehe auchLink:

Gehen ohne Gefahr: Geht das in Darmstadt überhaupt? | Echo Online (echo-online.de)